Praxistipp 2

Kunden gewinnen ist ok!

Oder: Wie wir uns selbst im Weg stehen beim Verkaufen von Spitex-Leistungen.


«Sie könnten natürlich auch mal eine Stunde Betreuung buchen bei uns, aber das kostet halt 52 Franken.» So hat man die Absage fast auf sicher in der Tasche. Und die Bestätigung, dass die Spitex-Tarife zu hoch und man selbst keine gute VerkäuferIn ist, obendrauf. Eine Sackgasse, aus der wir nur herauskommen, wenn wir uns fragen, was unser eigener Beitrag bei diesem erfolglosen Verkaufsversuch ist.


Ich lade Sie ein, mit Ihrem Team folgendes Experiment zu machen:
Fragen Sie einmal Ihre Mitarbeitenden in einem beiläufigen Ton, ab welchem Preis für sie ein Auto "teuer" ist. Ihre Mitarbeiterin Anna findet möglicherweise CHF 100'000.- teuer, bei Kathrin fängt teuer bei CHF 18'000.- an. Sammeln Sie die Beträge, die genannt werden, und präsentieren Sie sie an der nächsten Teamsitzung.
Das - sagen Sie dann - ist die Spanne, die für euch bei einem Auto teuer ist. Wenn ein Autoverkäufer grundsätzlich davon ausginge, dass die schicke Limousine, die er selbst sich nicht leisten kann, auch in der Wahrnehmung von Anna teuer ist, würde er ihr sehr unrecht tun. Und das Auto vermutlich nie verkaufen.

Genau das Gleiche passiert aber auch im Spitex-Alltag ständig: Mitarbeitende bewerten für sich den Tarif, den ihre Leistungen kosten, als «hoch», und übertragen diese Bewertung auf ihre KlientInnen. Ohne jegliche böse Absicht sagen Sie dann zum Beispiel: «Ja, ich weiss. Ein Betreuungstarif von zweiundfünfzig Franken in der Stunde ist nicht nichts.»

In diesem Moment haben sie die Chance verspielt, einer betreuungsbedürftigen Person zum Beispiel das Spitex-Angebot «Gesellschaft leisten und gemeinsam kochen» interessant zu machen. Und sie im gleichen Augenblick unbewusst bevormundet.

Nirgends spielt die innere Einstellung von VerkäuferInnen eine so grosse Rolle, wie wenn es um den Preis geht.

Ob unsere KlinetInnen eine Leistung als teuer empfinden, ist sehr individuell.
Als Spitex-Mitarbeiterin davon auszugehen, dass CHF 52.- für eine Stunde Haushaltsarbeit "halt schon viel Geld sind für diese Person", birgt zwei Probleme:
1. Die Mitarbeiterin wird die Leistung nicht überzeugend präsentieren können, weil sie selbst nicht davon überzeugt ist, dass sie CHF 52.- wert ist.
2. Die Annahme, jemand anderes könne sich die CHF 52.- nicht leisten oder würde für das Geld nicht genug Gegenwert bekommen, ist eine Bevormundung.

Das widerspricht dem Prinzip von "Ich bin ok - Du bist ok".

Ich bin ok – Du bist ok

In dem Moment, wo ich für einen anderen erwachsenen Menschen eine Entscheidung treffe, traue ich ihm nicht mehr zu, selbst das Richtige für sich tun zu können. Das ist problematisch und passiert leider völlig automatisch. Besonders schnell rutscht man in diese Bevormundungs-Falle, wenn man eigentlich meint, für den anderen nur das Beste zu wollen.

Tatsächlich müsste aber die innere Einstellung sein: Ich mache dir ein Angebot, von dem ich überzeugt bin, dass es dir einen Nutzen bringt. Dazu mache ich mir die Mühe, genau dein Bedürfnis herauszufinden und dir nur das anzubieten, was dir auch einen Vorteil verschafft. Du entscheidest dann, ob du diesen Vorteil in Anspruch nehmen willst.

"Du bist ok" heisst, ich traue dir zu, deine Entscheidung selbst treffen zu können. Ich respektiere deine Wahlfreiheit und nehme es nicht persönlich, wenn du mein Angebot ablehnst.

"Ich bin ok" bedeutet, ich gehe jeden Tag nach bestem Wissen und Gewissen an die Arbeit und ich weiss, dass wir bei der Spitex tolle Leistungen erbringen. Ich kenne die Bedürfnisse meiner KlientInnen und ich interessiere mich für ihre Sorgen, Wünsche und Bedenken. Daher kann ich ihnen guten Gewissens die passenden Leistungen unserer Spitex anbieten. Manchmal steigen sie darauf ein, manchmal nicht.

Eine Spitex-Mitarbeiterin, die diese innere Einstellung bei sich aktiv eingenommen hat, kann den Betreuungstarif nennen, ohne sich dafür zu schämen. Sie weiss nämlich, welchen Nutzen die KlientIn durch diese Leistung bekommt, und dass dieser Nutzen einen Wert hat. Dann kling eine Preisnennung zum Beispiel so:

«Die Spitex-Betreuerin kommt für CHF 52.- in der Stunde zu Ihnen. Dann können Sie wieder einmal nach Herzenslust Italienisch kochen, ohne ans Aufräumen denken zu müssen. Würde Ihnen das Freude machen?»

Nur mit der richtigen inneren Einstellung wird es gelingen, die steigenden Anforderungen bezüglich des Verkaufens von Spitex-Leistungen zu meistern. Dies ist ein Thema, das Sie als Spitex-LeiterIn im Auge behalten sollten.